Selbstbestimmt Leben 

Selbstbestimmt zu leben sollte in unserer freien Gesellschaft eigentlich selbstverständlich sein.Mit Selbstbestimmung ist gemeint, dass jeder Mensch selbst darüber entscheiden darf, wie, wo und mit wem leben möchte, wie sich als Persönlichkeit entwickelt, wie eigene Gesundheit und Wohlbefinden schützt und fördert. Diese Freiheit, über unser eigenes Leben selbst zu bestimmen, ist ein Menschenrecht, was auch durch unsere Verfassung (Artikel 2) geschützt ist.Jeder von uns hat das Recht selbst zu sein, ohne von außen beeinflusst oder behindert zu werden. Das Recht auf Selbstbestimmung ist noch mehr als nur die Abwesenheit von äußeren Beschränkungen oder Bevormundung. Es erfordert auch soziale Sicherheit, Bildung und Teilhabe. Nur dann ist die volle und freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit möglich.

Selbstbestimmung spielt für die Gesundheit der Psyche eine elementare Rolle. Die Fähigkeit, das eigene Leben nach unseren persönlichen Werten, Interessen, Talenten und Vorstellungen zu gestalten, vermittelt uns ein Gefühl der Kontrolle und Sicherheit. Selbstbestimmung ist für das Selbstwertgefühl wichtig. Ein selbstbestimmtes Leben bedeutet, dass wir unseren Alltag nach eigenen Maßstäben ausrichten. Dies bildet eine wichtige Grundvoraussetzung zu unserem persönlichen Glück. Wir leben nicht, um die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen. Selbstbestimmtheit bedeutet, dass wir es tun, was uns seelisch befriedigt und glücklich macht.

Dennoch kennen viele Menschen das Gefühl der Fremdbestimmung in ihrem Alltag. Wer fühlt, dass andere Menschen ständig über das eigene Leben bestimmen, der verliert irgendwann die Selbstachtung. Selbstwirksamkeit zu erleben, hilft uns dabei, an uns selbst zu glauben und unsere persönliche Ziele zu erreichen.

Was bedeutet ein selbstbestimmtes Leben?

„Selbstbestimmt Leben heißt, Kontrolle über das eigene Leben zu haben, basierend auf der Wahlmöglichkeit zwischen akzeptablen Alternativen, die die Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer bei der Bewältigung des Alltags minimieren. Das schließt das Recht ein, seine eigenen Angelegenheiten selbst regeln zu können, an dem öffentlichen Leben in der Gemeinde teilzuhaben, verschiedenste soziale Rollen wahrzunehmen und Entscheidungen selbst fällen zu können, ohne dabei in die psychologische oder körperliche Abhängigkeit anderer zu geraten. Selbstbestimmung ist ein relatives Konzept, das jeder persönlich für sich bestimmen muss.“ (DeLoach C.P., R.D. Wilins, G.W. Walker: Independent Living – Philosophy, Process and Services. Baltimore, 1983, S. 64. Übersetzung: Horst Frehe)

Die wichtigsten Aspekte eines selbstbestimmten Lebens für Menschen mit Behinderung sind vielfältig und hängen stark von den individuellen Bedürfnissen, Interessen und Wünschen ab. Einige zentrale Aspekte sind wohl:

  • Unabhängigkeit und Autonomie: Die Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen und das eigene Leben aktiv zu gestalten, sei es in Bezug auf Wohnsituation, Beruf, Freizeitaktivitäten oder den Alltag.
  • Barrierefreiheit: Zugängliche Umgebungen, inklusive öffentlicher Verkehrsmittel, Gebäude, digitale Angebote und Kommunikationsmittel, sind entscheidend, um eine uneingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
  • Persönliche Assistenz und Unterstützung: Menschen mit Behinderung sollten die Unterstützung bekommen, die sie benötigen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen, sei es durch Assistenzpersonen, technische Hilfsmittel oder finanzielle Unterstützung.
  • Teilhabe am Arbeitsmarkt: Zugang zu Arbeit, die den eigenen Fähigkeiten und Interessen entspricht, ist ein wichtiger Aspekt der Selbstbestimmung. Das schließt auch die Unterstützung am Arbeitsplatz und den Zugang zu inklusiven Arbeitsumgebungen ein.
  • Inklusion und soziale Teilhabe: Menschen mit Behinderung sollten in alle gesellschaftlichen Bereiche eingebunden sein, ohne Diskriminierung oder Stigmatisierung zu erfahren. Dies betrifft die Teilnahme an Bildungsangeboten, Freizeitaktivitäten, kulturellen und sozialen Veranstaltungen.
  • Recht auf Privatheit und Selbstbestimmung in der Pflege: Auch bei der Inanspruchnahme von Pflege- und Unterstützungsdiensten sollte das Recht auf Privatheit und persönliche Entscheidungsfreiheit gewahrt bleiben.
  • Selbstvertretung und Mitbestimmung: Menschen mit Behinderung sollten aktiv in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, die sie betreffen, sei es in politischen, sozialen oder persönlichen Angelegenheiten.
  • Zugang zu Bildung: Zugang zu Bildungseinrichtungen, die inklusiv gestaltet sind und auf die individuellen Lernbedürfnisse eingehen, ist entscheidend für die persönliche Entwicklung und das berufliche Fortkommen.

In der UN-Behindertenrechtskonvention spielt das Konzept der Selbstbestimmung eine zentrale Rolle, auch wenn der Begriff in der amtlichen deutschen Übersetzung nicht vorkommt. Im Englischen ist von „independence“ oder „living independently“ die Rede, was in der amtlichen deutschen Übersetzung derzeit „Unabhängigkeit“ oder „unabhängige Lebensführung“ heißt. Diese zwar wörtliche Übersetzung ignoriert jedoch, dass es sich hierbei um Fachbegriffe handelt.

„Living independently“ oder „Selbstbestimmung“ findet sich an sechs Stellen in der UN-Behindertenrechtskonvention:

  • in der Präambel
  • in Artikel 3 – Allgemeine Grundsätze
  • in Artikel 9 – Zugänglichkeit beziehungsweise Barrierefreiheit
  • in Artikel 19 – Unabhängige Lebensführung
  • in Artikel 20 – Persönliche Mobilität
  • in Artikel 26 – Habilitation und Rehabilitation


2017 verabschiedete der UN-Fachausschuss zur UN-Behindertenrechtskonvention seine fünfte Allgemeine Bemerkung zu dem Artikel 19. Darin betont er, dass ein selbstbestimmtes Leben nur außerhalb von Heimen möglich ist – dass aber ein Leben in der eigenen Wohnung noch keine Garantie für ein selbstbestimmtes Leben ist, wenn die Bedingungen fremdbestimmt sind.
Selbstbestimmung ist auch der zentrale Begriff, wenn es um die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB®) geht, die im Sozialgesetzbuch IX – Rehabilitation und Teilhabe – geregelt ist. Die EUTB® wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert, um die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen zu stärken.

Was ist der Unterschied zwischen Integration und Inklusion?

Die Begriffe Inklusion und Integration werden oft gleichbedeutend verwendet, verwechselt oder vermischt. 

Inklusion bedeutet eine Umgebung zu schaffen, die allen Menschen, so wie sie sind, jedoch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Bedürfnisse, gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht. 

Beispiel: In einer Klasse wird neben der Lautsprache auch in Gebärdensprache unterrichtet. Autistische Kinder sind per Video dem Unterricht zugeschaltet, um nicht von sozialen Kontakten überfordert zu werden, und die Räume sind barrierefrei zugänglich für Kinder, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Die Kinder erhalten Aufgaben mit verschiedenem Schwierigkeitsgrad und es gibt mehrere Lehrkräfte und Assistenzpersonen, damit diese auf die unterschiedlichen Bedürfnisse aller eingehen können, unabhängig davon, ob eine Behinderung vorliegt oder nicht.
Integration bedeutet Zugehörigkeit, die mit Anpassung an die Umgebung einhergeht. Die Rahmenbedingungen bleiben aber gleich wie sie waren. Die Menschen, die anders sind, dürfen dabei sein, aber sie müssen nach Fremdbestimmung handeln.

Beispiel: Ein Kind mit Behinderung wird gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung unterrichtet. Der Unterricht wird nicht auf die besonderen Bedürfnisse dieses Kindes angepasst, aber das Kind darf mitmachen. Es bekommt Unterstützung dafür, mit den Unterrichtsbedingungen zurechtzukommen.

Barrierefreie Webseite